„Der Mensch vergeht, die Geschichte besteht“

Am Donnerstag, dem 8.11, kamen in der Ratinger Innenstadt rund 100 Menschen zusammen, um den getöteten und misshandelten Juden in der Reichspogromnacht zu gedenken. Ein recht emotionaler und doch unbehaglicher Moment. Eine Mischung aus Vorträgen, Ansprachen und hier und da doch einer Gelegenheit zum Lächeln.

Klaus Konrad Pesch, Ratingens Bürgermeister, beginnt den Abend mit den Worten: „Der Mensch vergeht, die Geschichte besteht!“; Worte, die doch zum Nachdenken anregen. Er sei doch sehr überwältigt von der Masse an erschienen Bürgern, an diesem doch recht kalten und eher trostlosem Abend. Es gäbe nichts zu feiern, jedoch zu bedenken. Heute sei es doch umso wichtiger sich der Geschichte bewusst zu sein und ihrer Folgen, anstatt anderen die Möglichkeit zu geben, sie zu verdrehen und sie zu ihrem Vorteil zu nutzen. Ein Raunen geht durch die Menge, einige werfen sich Blicke zu oder flüstern, wen er wohl damit meine. Die Ansprache endet mit einer Musikeinlage. Eine dankbare Auszeit, denn vielen sieht man an, wie sehr die Worte des Bürgermeisters sie bewegt haben.

Es folgen verschiedenste Beiträge zur Reichpogromnacht, wie die der Martin-Luther-King Gesamtschule, welche über das Schicksal der jüdischen Familien in Ratingen berichtet. Ob es nun ein Kaufmann sei oder eine Mutter, die sich um ihre Kinder kümmere, jedes dieser Familienmitglieder litt unter der Macht der NSDAP und Hitler.

Besonders bewegend sind die Hinweise zu den Stolpersteinen der Stadt. In fast jeder Straße in Ratingen finden sich am Boden gold-glänzende (Stolper-) Steine. Sie weisen auf die getöteten Juden der Stadt hin. Versehen mit dem Namen, den Geburts- und Todesdatum. Die Stolpersteine wurden im Rahmen des gleichnamigen Projekts von dem Künstler Gunter Deming verlegt. Wir erfahren, dass vermutliche keine der ehemals in Ratingen lebenden Juden, in Konzentrationslagern starben oder durch Krankheiten, die sie dort bekamen, umkamen. Bestürzte Ruhe folgt.

Ein Beitrag der katholischen und evangelischen Kirche scheint etwas Erleichterung zu bringen, alle atmen auf und können sich doch sogar ein Lächeln entlocken.

Schüler der Ratinger Schule Boje stellen Berichte der „New York Times“ vor, welche als Reaktion auf die Reichpogromnacht kamen. Bestürzende Nachrichten und doch distanziert. Auch dies setzt der Menge zu. Als dann ein Mitglied der Gemeinde „Shalom“ noch über die damaligen Zustände in den Konzentrationslagern informiert, scheint das Bedrücken umso größer. Alle Anwesenden sind sehr betrübt und versuchen Fassung zu wahren.

Doch nur wenig später scheint die Stimmung wieder etwas erleichtert; Herr Rubinstein, ein Mitglied der jüdischen Gemeinde, hält eine Rede, eine sehr bewegende. Er berichtet von seiner Angst und auch davon, dass er wieder Hoffnung schöpfen konnte. Rubinstein sei ganz erstaunt über das zahlreiche Erscheinen und die Anteilnahme- damit habe er gar nicht gerechnet und sehe Ratingen als ein positives Beispiel, dass die Geschichte nicht verdränge, sondern hinschaue und agiere. Niemals wieder dürfe so etwas passieren und adressiert damit uns alle; es gäbe erneut Opfer und damit meint er nicht nur Juden, sondern auch so viele andere, die aufgrund ihrer Hautfarbe, Religion oder Herkunft verdrängt und ausgeschlossen werden. Dass dies am jüdischen Friedhof in Ratingen geschieht ist ein gelungener und schöner Abschluss. Mit einem auf Hebräisch gesprochenen Gebet endet unser Rundgang. Eine sehr bewegende und emotionale Erfahrung. Wir können die Geschichte nicht beeinflussen, aber dafür unsere (gemeinsame) Zukunft ändern. Um Herrn Rubinstein zu zitieren:
„Es lebe die Freiheit und die Demokratie!“
Konrad, Leonie, Jonas, Akane, Celina und Renée