Schüler diskutieren Fridays for Future
Darf man am Freitag die Schule schwänzen, um sich für ein höheres Gut – die durch den Klimawandel gefährdete Zukunft folgender Generationen – einzusetzen?
Nein, sagen die einen und fordern, dass bei diesen „Klima-Schwänzern“ hart durchgegriffen wird, denn immerhin wird hier geltendes Recht gebrochen.
Ja, sagen die anderen und berufen sich auf … – worauf denn eigentlich?
Diese Fragen haben die Schülerinnen und Schüler der Philosophie-Kurse (EF) von mir im Unterricht diskutiert und versucht zu beantworten.
Folgender Schüler-Kommentar soll die Überlegungen und Arbeit der Schülerinnen und Schüler für interessierte Besucher der Homepage zugänglich machen und zum Mitdenken über die großen Fragen einladen.
Viel Spaß beim Nach-denken!
A. Stobba
„Fridays for Future“ – ein Kommentar
Momentan herrscht eine sehr große Zerstrittenheit und Uneinigkeit über die Bewegung „Fridays for Future“ bzw. darüber ob diese zu rechtfertigen ist.
Im Folgenden werde ich erläutern, warum ich „Fridays for Future“ gutheiße.
Eines der wohl meist verwendeten Argumente der Kritiker dieser Bewegung ist, „Fridays for Future“ sei für uns Schüler bloß eine Möglichkeit, die Schule zu schwänzen. Sie sehen diese nicht als „Streik“ im herkömmlichen Sinne an, da in diesem Fall nicht der Arbeitgeber den Schaden trägt, sonden wir, die Schülerinnen und Schüler, selbst den Schaden tragen müssen. Die Schule als Institution trägt hingegen durch unseren Streik keinen Schaden davon.
Fridays for Future kann begrifflich allerdings weder als Streik noch als „Schwänzen“ bezeichnet werden. Es handelt sich dabei vielmehr um zivilen Ungehorsam. Ziviler Ungehorsam zeichnet sich, laut Jürgen Habermas (Habermas, Jürgen: Ziviler Ungehorsam – Testfall für den demokratischen Rechtsstaat, in: Die neue Unübersichtlichkeit, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1985, S.82-91.), dadurch aus, dass er:
1. moralisch begründet ist, d.h. eine Gewissensentscheidung ist
2. über das Eigeninteresse hinaus geht
3. öffentlich und angemeldet stattfindet
4. gewaltfrei abläuft
5. nur einzelne Rechtsnormen gebrochen werden, weshalb das Rechtssystem des
Rechtsstaates niemals gefährdet wird
6. somit lediglich Symbolcharakter hat
7. Konsequenzen (z.T. auch rechtliche) hat, die von den Teilnehmern bereitwillig
akzeptiert werden
8. erst nach Ausschhöpfung aller legalen Mittel ergriffen wird
Über den letzten Punkt lässt sich sicherlich streiten, aber ich bin der Meinung, dass die übrigen sieben Punkte auf die Bewegung „Fridays for Future“ zutreffen.
Zum einen ist der Protest eindeutig moralisch als Gewissensentscheidung begründet.
„Fridays for Future“ steht für alle Bürger bzw. Schülerinnen und Schüler offen, die die momentane Klimapolitik aus moralischen Gründen ablehnen und sich um die Zukunft unseres Planeten, das Leben der zunkünftigen Generationen und der gesamten belebten Natur sorgen (Kriterium 1). Somit gehen diese Absichten ganz klar über das bloße Eigeninteresse hinaus geht (Kriterium 2), womit sich der Vorwurf der Kritiker, die Schülerinnen und Schüler wollen nur die Schule schwänzen, eindeutig widerlegen lässt.
Zudem lässt sich beobachten, was auch von den Medien dokumentiert wird, dass der Protest angemeldet, öffentlich und gewaltfrei abläuft (Kriterium 3 und 4).
Das Verpassen des Unterrichts sehen die Teilnehmenden als nötiges Übel an, die Fehlstunden und möglichen rechtlichen Konsequenzen werden bereitwillig in Kauf genommen, um sich für die Zukunft unseres Planeten einzusetzen (Kriterium 7).
Für die ängstlichen Kritiker der Bewegung ist es sicherlich auch wichtig von den Teilnehmenden zu erfahren, dass es niemals das Ziel des Protestes ist, den Rechtsstaat und seine Rechtsnormen zu gefährden, sondern, dass es vielmehr um ein Umdenken in der Klimapolitik geht. Ziel ist also keine Revolution, sondern nur eine Reform (Kriterium 5) der Klimapolitik. In diesem Sinne wird der Symbolcharakter des Protestes deutlich (Kriterium 6). Natürlich kann man nicht sagen, dass jeder Schüler, der an diesen Demonstrationen teilnimmt, diese Interessen verfolgt. Es mag sein, dass sich einige oder manche Vertreter der Protestbewegung nicht auf zivilen Ungehorsam oder Reformen berufen, jedoch sollte man niemals die gesamte Bewegung verurteilen oder jeden einzelnen Teilnehmer dieser Bewegung als „Schülschwänzer“ beschimpfen, denn rational lässt sich die Bewegung, wie ich gezeigt habe, als ziviler Ungehorsam moralisch sehr wohl begründen.
Ein Streitpunkt bei der Beantwortung der Frage, ob sich „Fridays for Future“ dem zivilen Ungehorsam zuordnen lässt, ist die Frage, ob bereits alle legalen Mittel ausgeschöpft sind (Kriterium 8). Meiner Meinung nach ist dies der Fall, wenn man bedenkt, wie lange bereits die Wissenschaft auf den Klimawandel aufmerksam macht und wieviele Generationen vor der Generation „Fridays for Future“ bereits für eine Änderung der Klimapolitik gekämpft haben. Denn wie sollten wir Schülerinnen und Schüler, nicht wahlberechtigt, und dem Gesetz nach unmündig, auf unsere Ansichten und Sorge um die Zukunft unseres Planeten aufmerksam machen, und das noch in einem solchen Ausmaße, dass es den Medien und den Politikern zu Bewusstsein bringt, wie ernst der Jugend dieses Thema ist. Hätte es auch nur annährend so viel mediale Aufmerksamkeit gegeben, hätten Schülerinnen und Schüler sich einfach auf Demonstrationen alleine beschränkt.
In diesem Zusammenhang offenbart sich auch noch eine weitere Frage: Ist die Teilnahme an einer Bewegung nicht der beste Beweis für mündige Schülerinnen und Schüler? Ist Mündigkeit nicht das, wohin die Schule so unbedingt versucht, ihre Schülerinnen und Schüler hin zu erziehen?
Und dennoch wird den Schülerinnen und Schülern dieser Ausdruck von Mündigkeit abgesprochen, was immer mit der Forderung verbunden ist, dass die Schülerinnen und Schüler sich doch lieber um ihre Bildung in der Schule kümmern sollen, denn auf welcher Basis sollen sie denn sonst später gegen Umweltprobleme vorgehen können.
Keine unberchtigte Frage! Es nützt jedoch nichts, Wissen und Bildung bloß in der Theorie zu lernen und in der Praxis damit nichts anfangen zu können. Es ist zudem auch nicht der Fall, dass wir Schülerinnen und Schüler jeden Freitag in der Schule ausführlich über Umweltprobleme und wie wir gegen diese vorgehen können informiert werden. Dann sollten wir doch lieber unser bereits erworbenes Wissen – ich will schließlich nicht abstreiten, dass wir schulisch nicht über Unweltprobleme informiert werden – außerschulisch erweitern. Wenn dies nunmal bloß im Rahmen von Fehlstunden möglich ist, ist das meiner Meinung nach – wie bereits erwähnt – ein notwendiges Übel und eine tragbare Konsequenz.
Schließlich geht es hier nicht bloß um irgendeine kleinliche Befindlichkeit einer kleineren Gruppe, sondern um eine Umweltkrise, die unser jetziges Leben und das kommender Generationen gefährdet. Dabei sind nicht einmal mehr bloß wir Menschen betroffen, sondern die gesamte Flora und Fauna unseres Planeten, von der Biosphäre zur Hydrosphäre.
Das sind Fakten, die zu leugnen, meiner Meinung nach, nicht bloß ignorant, sondern gefährlich ist. Wir haben keine Zeit mehr auf einen weiteren Klimagipfel und weitere Versprechen und Verständnis verschiedener Politiker, die sich als leer herausstellen, zu warten. Ein paar Fehlstunden scheinen mir im Hinblick auf diese Probleme recht irrelevant.
„Fridays for Future“ ist meiner Meinung nach also notwendiger ziviler Ungehorsam.
Notwendig, um der Politik unsere Auffassungen zu vermitteln. Es ist falsch diese Bewegung als bloßes „Schuleschwänzen“ abzutun.
Anna Lena (Stufe EF)